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Wissenswertes Teil 2

Ich bin mir sicher, dass sich viele Menschen die nach einem Lehrer suchen, diese Frage stellen. Vor allem die völligen Anfänger werden da abenteuerliche Vorstellungen haben. Und es ist sehr schwer, Informationen zu bekommen, wenn man Angst hat, sich vielleicht schon mit den Fragen zu blamieren.

Im Fernsehen sieht man z. B. den berühmten Dirigenten bei einer öffentlichen Probe mit einer Musikstudentin. Der sagt dann ganz locker: „Jetzt fang noch mal an nach dem Dominant-Sept-Akkord, Takt 56 im Pianissimo und steigere poco a poco zum Mezzoforte. Vergiss aber nicht, dass das Ritardando erst ab Takt 73 beginnt.“ (Wie bitte???!)

Oder ein Backstage- Bericht über den neuesten „DSDS- Superstar“: Der Moderator erzählt, dass dieser Sänger noch nie auch nur eine Stunde Unterricht bekommen habe. Er wäre einfach eine „Naturstimme“. So was wäre eben Gott-gegeben.

Wenn man das als interessierter Hobbysänger hört, ist man schnell entmutigt es auch nur zu versuchen. Wer sich aber dann doch aufrafft sich mal ein bisschen über das Thema „Singen“ zu informieren, der stößt gleich auf das nächste Problem.

Denn, wenn man herumfragt, bekommt man so viele Antworten, wie man Gesangschüler anspricht. Der Eine erzählt von den Gesangübungen, die er machen muss. Die Zweite berichtet von den verschiedenen Stücken, die sie mit ihrem Lehrer singt. Der Dritte beschreibt die ganzen Atemübungen, die seine Lehrerin mit ihm macht. Der Vierte meint, sein Lehrer hätte gesagt, zu viel Technik würde einen nur verwirren. Man müsste einfach nur mit Gefühl singen. Und die verschiedenen Stilrichtungen der Musik machen die Sache auch nicht leichter. Da gibt es Klassisches Lied, Oper, Oratorium, Pop, Jazz, Folk, Jodeln, Musical, Rock, Belting, Chanson, Rap, und, und, und...

Viele Vertreter der einzelnen Gattungen sind sich untereinander nicht grün. Da gibt es die klassischen Sänger, die über den Stimm- schädigenden Stil von Rocksängern schimpfen und die Popsänger, die sich über die Künstlichkeit der Opernstimmen lustig machen. Jeder lobt natürlich seinen Lehrer in den Himmel und erklärt, das sei die einzig richtige Art singen zu lernen. Wer schon mal irgendwo ein paar Stunden Unterricht hatte, wird auch nicht viel schlauer. Der eine Gesanglehrer besteht darauf, dass die Atmung nur über die Bauchstütze geführt werden darf. Dann kommt der nächste und erzählt was von der Flanken – Atmung, (Ja, was denn jetzt?).

Um erst mal etwas von dieser Verwirrung aufzulösen: Jede von diesen von diesen Aussagen und Informationen ist im Kern richtig. Aber nichts davon ist allein selig machend.

Wer singen will, muss sich zuerst eines klar machen: Singen ist eine Naturfähigkeit des Menschen!

Es ist sogar die ursprüngliche Grundfunktion des Kehlkopfes. Alle Tiere singen. Ein Hund sagt z. B. nicht „Wau“ und eine Katze macht nicht „Miau“. Beide Tiere singen/rufen eine Tonfolge ohne Konsonanten. Die Informationen werden durch Melodie, Tonhöhe, Lautstärke, Rhythmus und Textur des Tones vermittelt. Die Entstehung von Sprache mit Konsonanten und Vokalen kam entwicklungsgeschichtlich erst viel später (bei den Primaten). So gesehen ist Sprechen eigentlich ein „Missbrauch“ des Kehl-Apparates.

Und da liegt bei vielen sangeswütigen Menschen das Problem! Beim Singen (Rufen) benutzt man etwa 200 verschiedene Muskeln. Beim Sprechen werden davon nur etwa 20 Muskeln gefordert. Die anderen 180 werden kaum genutzt. Und dadurch werden sie immer schwächer und unkoordinierter.

Eine hohe, schnelle oder laute Tonfolge überfordert dieses System. Dann wackelt die Stimme und klingt „hässlich“. Außerdem haben viele Menschen keine oder eine schlechte Abstimmung zwischen ihrem Gehör und ihrer Stimme und können deshalb die Tonfolgen nicht sicher nachsingen. Überdies können Haltungsgewohnheiten und bestimmte „Denkmuster“ zu Verspannungen führen, die die Stimme aus dem Gleichgewicht „kippen“ lassen.

Als Stimmbildnerin muss ich nun wie eine Therapeutin zuerst einmal herausbekommen, woran es, denn überhaupt bei meinem Schüler hakt. Ist sein Stimmapparat einfach nur kraftlos und unkoordiniert, oder hat er sich durch Fehlbelastung einen Stimmschaden zugezogen? Oder ist er etwa zu schüchtern und verkrampft, um seine Stimme voll ausklingen zu lassen. Hat er vielleicht nicht gelernt die Töne, die er hört korrekt nachzusingen oder ist er einfach nicht trainiert, sich eine Melodie zu merken und wiederzugeben? Vielleicht hat er sich aber auch nur ein schlechtes Vorbild gesucht, dessen Singtechnik nur bei diesem Sänger funktioniert, bei dem Schüler aber zu Stimmproblemen führt (nicht jeder kann gefahrlos wie Johnny Cash singen!).

Wenn ich dann eine Vorstellung von der Problemlage des Schülers habe, dann beginne ich mit körperlichen Übungen und mentalem Training dieses feine Geflecht von Körper, Geist und Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Es gibt Grundsegmente des Unterrichtes die meiner Meinung nach in jede fundierte Stimmausbildung gehören. Ich vermittle allen Schülern (unabhängig davon, ob sie klassisch oder moderne Stile singen wollen) zuerst immer eine klassische Basis-Technik. Das heißt:

1. eine „Ideal“- Haltung im Sitzen und Stehen (die zum Üben und zur Kontrolle eingenommen wird, um Verspannungen abzubauen).

2. eine leicht zu erlernende Basis –Atmung über die Bauchstütze (weitere 4 verschiedene Atemtechniken für unterschiedliche Tongestaltung können später nach und nach dazugelernt werden)

3. eine Anzahl von Gesangübungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, die man später als grundsätzliches Einsing-Programm benutzt, um der Muskulatur Kraft und Koordination zu erhalten (diese Übungen trainieren: Höhe, Tiefe, Wendigkeit und Geschwindigkeit für schnelle Tonführung, Steuerung der Lautstärke, Schwungkraft für Tonsprünge, Klanggestaltung usw.).

4. Informationen über die Abläufe beim Singen (Anatomie von Muskel- und Skelettaufbau, neurologische Vorgänge beim Lernen oder die physiologischen Vorgänge bei Lampenfieber usw.).

5. Informationen über Akustik und Physik des Singens (Was sind Obertöne? Wie entwickelt sich der Klang in den Resonanzräumen? Was ist der Unterschied zwischen Lautstärke und Intensität eines Tones?).

6. und schließlich die Basis einer gesunden Sänger- Persönlichkeit: Eine stabile, belastbare Psyche (Was sind, meine Stärken und was sind meine Schwächen? Wie kann ich das Lampenfieber beherrschen? Wie verhindere ich, dass ich mich beim Konzert selbst demontiere? Usw.).

Aus diesen Versatzstücken baue ich die Arbeit der ersten Gesangstunden auf. Wenn dann eine gewisse stabile Grundlage gelegt ist, dann beginne ich mit meinen Schülern Musikstücke, die sie singen wollen, nach diesen technischen Grundlagen zu erarbeiten.

An diesem Punkt differenziere ich dann auch die Stile von klassischem Gesang und den modernen Sing-Stilen. Natürlich fängt man mit ganz einfachen Liedern oder Songs an und steigert den Schwierigkeitsgrad später immer mehr. Wenn der Schüler die Stücke einigermaßen technisch richtig singen kann, dann beginne ich mit der Feinarbeit (Lieder- und Partienstudium, Stimmeffekte, Gestaltung eines Liedes oder eines Konzertabends, Stilmittel verschiedener Gesangrichtungen wie Pop, Oper, Musical, Folk, Oratorium, usw.) Am Ende stehen dann unter Umständen noch Auftrittspraxis, Darstellung und Planung einer Berufskarriere.

Zur Kontrolle habe ich in meinem Studio einen Computer, der mit einem Mikrophon und einer speziellen Software („Overtone-Analyzer“ von Sygyt-Software) ausgerüstet ist. Bei der Gesangstunde läuft er mit und bildet die entstehenden Klänge (Gesang und Sprache) in Form von farbigen Wellenmustern ab.

Je nach Einstellung des Darstellungsfilters kann man mit dem Programm die Aussprache, die Tonhöhensauberkeit, die Frequenz-Zusammensetzung, die rhythmische Präzision und noch verschiedene andere Stimmphänomene genau betrachten und vergleichen. Dies hilft meinen Schülern die Veränderungen ihrer Stimme nicht nur akustisch, sondern auch optisch zu überprüfen und so können sie gute Entwicklungen erkennen und dauerhaft beibehalten.

Das ist es ungefähr, was im Gesangunterricht bei mir passiert. Aber natürlich wäre das der Idealablauf einer Ausbildung für einen Idealschüler. Nur den gibt es leider nicht!

Zum Unterricht in meinem Studio kommen sehr unterschiedliche Menschen. Und, so verschieden wie diese Menschen sind, so unterschiedlich gestalte ich auch meinen Gesangunterricht. Ich weiß nicht, was Ihre persönliche Kombination von Fähigkeiten und Problemen ist. Deshalb kann ich Ihnen auch nicht sagen, wie Ihr Gesangunterricht aussehen wird. Was ich Ihnen aber versprechen kann, ist, dass er Sie weiterbringen wird und dass es Spaß macht. Versuchen Sie es einfach!

(Cordula Maria Ledwoch)